Was Schulen für psychische Gesundheit bei Schülerinnen und Schülern tun können

08.12.2025
6 Minuten
Lehrerleben

Expertinneninterview mit Alix Puhl

Schülerinnen und Schüler sitzen in einem Stuhlkreis um einen Lehrer

©Jonathan Grillenmeier

Liebe Alix Puhl, Ihr Buch heißt: Es braucht das ganze Dorf. Was meinen Sie damit und was bedeutet das für den Schulalltag?

In unserem Buch geht es um die Früherkennung von Anzeichen psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Etwa 20 Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind betroffen. Je früher eine Erkrankung erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden. Das sichert Teilhabe an Bildung und eröffnet Chancen auf ein selbstbestimmtes, zufriedenes Leben. Da Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihrer Zeit in der Schule verbringen, spielen die Erwachsenen dort eine zentrale Rolle. Und zwar nicht nur Lehrkräfte: Alle im System Schule machen relevante Beobachtungen. Lehrkräfte bemerken Konzentrationsschwierigkeiten, das Sekretariat registriert häufige „Bauchweh"-Meldungen, Mitarbeitende der Schulhausverwaltung sehen lange Aufenthalte in den Toiletten, Vertretungslehrkräfte lesen besorgniserregende Texte. Auf den ersten Blick wirken diese Beobachtungen oft wie kleine Details. Aber genau in solchen schleichenden Veränderungen zeigen sich psychische Erkrankungen häufig. Mit „Es braucht das ganze Dorf" möchten wir allen im System Schule Handlungssicherheit geben, nicht, um Diagnosen zu stellen, sondern um Beobachtungen einzuordnen, Anzeichen zu erkennen und rechtzeitig Hilfe auf den Weg zu bringen. Wir möchten Mut machen: Jeder Einzelne kann einen Unterschied machen – und das Dorf zusammen erst recht.

Wie geht das konkret? Gibt es Warnsignale, auf die Lehrkräfte und Schulleitungen achten sollten?

Das Wichtigste sind Verhaltensveränderungen. Dinge, die vorher nicht da waren oder sich deutlich verstärken. Das kann Rückzug sein, Gereiztheit, nachlassende Leistungen, häufiges Fehlen. Manchmal auch das Gegenteil: auffällig angepasstes Verhalten. Dabei geht es nicht um einzelne schlechte Tage, sondern um Entwicklungen über mehrere Wochen. Auch wenn jemand im Vergleich zur Klasse stark aus dem sozialen Miteinander herausfällt, sollte man genauer hinschauen. Unser Buch hilft, solche Beobachtungen einzuordnen und zeigt konkret, wann und wie man das Gespräch suchen sollte.

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Wir sind mitten in der dunklen Jahreszeit und Weihnachten steht bevor. Was raten Sie Lehrkräften?

Gerade jetzt helfen Licht und Bewegung: Licht in den Klassenraum oder eine Runde Sport oder zumindest ein Spaziergang. Denn das wirkt direkt positiv auf die Stimmung. Weniger ist manchmal mehr: Aufwendige Weihnachtsprojekte verkleinern, um mehr Raum für echte Gespräche zu lassen, für Check-ins, offene Runden oder einfach die Frage: „Wie geht's dir wirklich?". Haben Sie einen Blick auf Schülerinnen und Schüler, die möglicherweise Sorge vor den Ferien haben. Für manche bedeuten zwei Wochen zu Hause Isolation oder Konflikte. Sie brauchen vor den Ferien ein Gesprächsangebot und Hilfsangebote zum Mitnehmen – Kärtchen mit Notfallnummern, Hinweise auf Krisenchat oder die Nummer gegen Kummer. Die Botschaft: Auch in den Ferien bist du nicht allein.

Diese Zeit belastet auch Lehrkräfte und Schulleitungen. Welche Signale sollten sie bei sich selbst im Blick behalten?

Anhaltende Erschöpfung, Schlafprobleme, Gereiztheit, das Gefühl, auf Distanz zu gehen oder nur noch zu funktionieren. Gerade jetzt ist Selbstfürsorge wichtig: Pausen einhalten, Nein sagen, auch für Sie gilt: Tageslicht und Bewegung fest einplanen. Der Austausch im Kollegium entlastet. Schulleitungen können eine Kultur schaffen, in der über psychische Gesundheit gesprochen werden darf, indem sie selbst vorleben, dass Grenzen wichtig sind. Supervision, Coaching oder externe Beratungsangebote sollten bekannt sein. Wer andere unterstützen will, muss selbst stabil sein. Das ist professionell.

Ihr Schlussgedanke?

Fangen Sie klein an: Schauen Sie hin, nehmen Sie Veränderungen wahr und sprechen Sie jemanden (ein Kind, einen Jugendlichen, jemanden aus ihrem Kollegium oder auch aus dem privaten Umfeld) an, der Ihnen Sorgen macht, mit einem einfachen „Mir ist aufgefallen, dass… Wie geht's dir?"

[…] Sie sind ein wichtiger Teil des Dorfes – aber Sie müssen nicht das ganze Dorf sein. Ihr Hinschauen, Ihr Gespräch, Ihr „Du bist nicht allein" kann den Unterschied machen. Wer mehr Sicherheit gewinnen möchte: tomoni mental health bietet kostenfreie, interaktive, deutschlandweit verfügbare, modular aufgebaute, digitale Fortbildungen an, die das Buch ergänzen.

Portraetbild von Alix Puhl und Sarah Geist-Gröll

Herzlichen Dank für das inspierende Interview mit vielen wertvollen Gedanken und Praxistipps. Es sind oft die einfachen, kleinen Dinge, die einen Unterschied machen können.

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